Bereits zweimal besuchte ich freiwillig das Konzentrationslager in der Nähe von München. Über meinen ersten Besuch, im Alter von knapp 16 Jahren, werde ich dir hier berichten.
Teenie-Eve im Konzentrationslager
Es ist nicht gerade typisch für Schweizer, dass sie freiwillig die mehrstündige Autofahrt nach Dachau in Kauf nehmen. Lieber fahren wir «Bünzlis» in den Süden oder besser gesagt; nach Italien. Doch ich und meine Klassenkameraden vom Konfirmationsunterricht (wir hatten einen supertollen Pfarrer/Lehrer) haben die lange Fahrt mit dem Bus auf uns genommen. Zusammen mit unserem Pfarrer schauten wir auf der Hinfahrt «Schindlers Liste». Natürlich hatten wir bereits zuvor wochenlang das Thema KZ im Unterricht durchgenommen, damit wir bestmöglich vorbereitet waren.
Ich weiss noch, wie wir alle nach der Ankunft den Bus verlassen hatten und munter den Kiesweg entlang zum KZ spazierten. Es war ein grauer, aber warmer Tag und erst als wir vor dem beeindruckenden Jourhaus standen, wurde uns bewusst, was hier gleich abgehen würde. Mit mulmigem Gefühl traten wir durch das Tor, welches die Inschrift «Arbeit macht frei» trug.
Auf dem grossen Platz fiel uns sofort das internationale Mahnmal auf: eine Skulptur, welche vermutlich die Toten symbolisieren sollte, und eine Tafel mit der Innschrift „Möge das Vorbild derer, die hier von 1933 bis 1945 wegen ihres Kampfes gegen den Nationalsozialismus ihr Leben ließen, die Lebenden vereinen zur Verteidigung des Friedens und der Freiheit und in Ehrfurcht vor der Würde des Menschen.“ auf Deutsch, Englisch, Französisch und Russisch. Im Grunde waren wir eine sehr lebhafte und übermütige Klasse, doch von da an gab niemand mehr einen Mucks von sich.
Als nächstes erinnere ich mich, dass uns eine Dame für den Rundgang in Empfang nahm. Ca. 2.5 Stunden dauerte die Führung durch das Konzentrationslager. Keine Angst, ich werde dir nicht jedes Detail von der Führung hier wiedergeben. Einige Eindrücke habe ich jedoch auserwählt, weil sie mich am meisten geprägt haben:
Stillgestanden
Ich habe wirklich kein Problem damit, stundenlang zu stehen – das bin ich mir von Festivals und Konzerten mehr als gewohnt. Doch als ich selbst in einer ehemaligen Stehzelle stand, verging auch mir die Lebensfreude. Ich fühlte mich unglaublich eingeengt, obwohl ich nicht an Platzangst leide. Es fühlte sich an, als würden die Wände immer näherkom men, mir jeglichen Platz rauben. Noch nie hatte ich so etwas erlebt.
Kuschelalarm
Generell mag ich keine Hochbetten. Ich verstehe nicht, was daran so toll ist, in der Höhe zu schlafen. Aber egal, denn jene damals im KZ Dachau hatten nicht wirklich eine andere Wahl. Die dreistöckigen (!) Betten waren für einen «Massenschlag» ideal geeignet. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie teilweise sogar übereinander schlafen mussten. Eine schreckliche Vorstellung, da das Konzentrationslager oft überbelegt war. Das Bettgestell bestand aus dünnem Holz und natürlich gab es damals noch keine bequemen Matratzen. Bestimmt erwachte man jeden Morgen mit blauen Flecken und Rückenschmerzen. Des Weiteren ist es bekannt, dass die Gefangenen schnell krank wurden und daher die Lebenserwartung drastisch sank.
Die Todes-Dusche
Der schlimmste Moment war für mich, als wir das Krematorium betraten. Niemals werde ich diese «Brausebad-Lüge» vergessen. Zuerst wurden wir in den Umkleideraum geführt. Von dort aus ging es dann weiter ins sogenannte Brausebad. Gross stand dieses Wort über dem Eingang zu den Duschen. Die Gefangenen wurden in diesem Raum eingesperrt und an Stelle von Wasser, wurde Gas eingelassen. Ich weiss noch, wie ich das Gefühl hatte, als würde mir jemand den Hals zerquetschen. Das Atmen viel mir noch schwerer, als ich mir dieses grausame Szenario bildlich vorstellte. Leider wurde das Gefühl nicht gerade besser, als die Rundgangsleiterin uns in den nächsten Raum führte. Mehrere Öfen standen feinsäuberlich nebeneinander. Sie erzählte uns, wie die Leichen mit Hilfe der Tragen in die Öfen geschoben und schliesslich verbrannt wurden. Sofort stellte ich mir diese abscheulichen Taten wieder bildlich vor, was bewirkte, dass ich am liebsten davongerannt wäre.
Die Erzählungen von Paul Kerstenne
Auch wenn ich diesen Mann nur einmal traf und daher kaum kannte, hat er meinen vollsten Respekt. Paul Kerstenne erzählte uns im Anschluss der Führung von seinem Leben im Konzentrationslager. Seine Geschichte hat uns sehr berührt und mitgenommen – kaum ein Auge blieb trocken. Mit seiner ruhigen Stimme und den fesselnden Worten liess er uns an seiner Vergangenheit teilhaben. Er überlebte im KZ Dachau nicht nur die schrecklichen Foltermethoden, sondern auch Typhus, Halsgeschwüre und Lungenentzündungen. Im Anschluss gingen wir alle noch in die Kirche, um gemeinsam zu beten.
Paul Kerstenne war 92, als er im Jahre 2013 verstarb.
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Ich bin Flying Eve und die Co-Autorin von Felix. Mein Spezialgebiet umfasst alles zum Thema Reisen. Wenn ich nicht gerade am Texten oder unterwegs bin, mache ich Sport (Kampfkunst, Reiten, Fitness). Meine grössten Schwächen sind ausserdem Bandmerch, Kaffee von Starbucks, Musik bzw. Konzerte, Schuhe, Autos und Games.